Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt verändern unsere Welt und eröffnen kontinuierlich neue Möglichkeiten, um pädagogischen Herausforderungen zu begegnen. Daraus ergibt sich allerdings ein Bedarf zur fortwährenden Auseinandersetzung mit gewonnenen Erkenntnissen über zeitgemäßen Technologieeinsatz im Gesamtsystem Schule. Neben Prozessen der Schulverwaltung und -leitung gilt es insbesondere, schulische Unterrichtsprozesse zu begleiten, zu beobachten, anzupassen und zu evaluieren, wobei damit unmittelbar die Forderung nach zeitgemäßer Aus- und Fortbildung von Lehrkräften einhergeht. Traditionelle Konzepte der Schulentwicklung greifen hier nur bedingt und es werden innovative Ansätze und Ideen gebraucht. Dies gilt umso mehr, als sich, bei unbestrittener Notwendigkeit der Digitalisierung von Bildung, die öffentlichen Debatte häufig auf technologische und allgemein medienpädagogische Argumente beschränkt. Es fehlt an Impulsen, welche die fachdidaktische Perspektive auf digitale Medien mit ihren besonderen Potentialen ausreichend berücksichtigen.
Der Mangel wird besonders durch den Umstand ersichtlich, dass sich Bestrebungen eine digitale Kultur an Schulen in Deutschland zu etablieren, bis Anfang der 1990er Jahre zurückverfolgen lassen. Auch die Folgen des 2019 in Kraft getretene Digitalpakts, der die Digitalisierung deutscher Schulen deutlich voranbringen sollte, bleibt hinsichtlich der realisierten Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. Nicht zuletzt durch die Corona- Krise sind die Unzulänglichkeiten bisheriger Ansätze zu Tage getreten. Es stellt sich die Frage, warum die Digitalisierung deutscher Schulen –mit wenigen Ausnahmen – nach wie vor in ihren Anfängen steckt. Nach unseren Erkenntnissen lassen sich die feststellbaren Defizite auf drei zentralen Ursachen zurückführen:
1. Zielformulierungen zum Einsatz digitaler Medien im schulischen Unterricht, wie sie insbesondere die Kultusministerkonferenz (KMK)-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ darlegt, weisen weitgehend fachunabhängig formulierte Kompetenzerwartungen aus. Zugleich sollen diese Kompetenzen aber im Rahmen etablierter Fächer erworben werden, was eine Konkretisierung für die einzelnen Fächer zwingend notwendig macht. Diese Konkretisierung kann nicht den Lehrkräften überantwortet werden, sondern es müssen realistische und gehaltvolle Unterrichtsvorschläge durch die Fachdidaktiken entwickelt und erprobt werden.
2. Die Forderungen, die im Kontext schulischer Bildung an digitale Medien gängig gestellt werden, sind aus Sicht der Fachdidaktik und evidenzbasierter Forschungsergebnisse überwiegend nicht zu erfüllen. Insbesondere können digitale Medien die didaktisch professionelle Kompetenz von Lehrkräften nicht ersetzen. Guter Unterricht kommt von gut ausgebildeten Lehrkräften, die digitale Medien didaktisch und pädagogisch sinnvoll in den eigenen Unterricht integrieren. Aufgrund mangelnder Aus- und Fortbildungsangebote verfügen Lehrkräfte im Allgemeinen jedoch nicht über die technologisch-didaktischen Kompetenzen, die notwendig wären, um eine digitale Kultur an den deutschen Schulen zu etablieren.
3. Das führt zur vielleicht wichtigsten Ursache für die Schwierigkeiten eine digitale Kultur im Bildungssystem Deutschlands zu etablieren: das Primat des Mediums. Die digitale Transformation der Schule kann nur unter einem Paradigmenwechsel, weg vom Primat des Mediums, hin zu einem Primat der Didaktik erfolgreich sein. Aktuell wird dagegen der Transformationsprozess hin zur digitalen Schule häufig nur auf technologische und allgemein medienpädagogische Argumente reduziert. Entwicklungsarbeiten zur Berücksichtigung der fachdidaktischen Perspektive auf digitale Medien fehlen. Nur wenn der Einsatz digitaler Medien vom fachlichen Inhalt und den Grenzen analoger Lernumgebungen her gedacht wird, lässt sich ihr volles Potential für den schulischen Unterricht tatsächlich ausschöpfen.
Das skizzierte Problem muss durch einen Akt erfinderischer Neugestaltung des anvisierten Transformationsprozesses gelöst werden. Zentrale Idee und Vision hierbei sind, dass die Transformation zur digitalen Schule nur möglich sein wird, wenn die IT-Strukturen, die den Unterricht unterstützen, auf Basis evidenzbasierter Forschungsergebnisse zu didaktischen Potentialen digitaler Medien geplant und entworfen werden. Zentraler Faktor für das Gelingen der Digitalisierung im Bildungsbereich ist folglich eine innovative Symbiose aus Fachdidaktik und Informationstechnologie zu orchestrieren:
Um die beschriebenen Hürden effektiv zu überwinden, muss die Digitalisierung deutscher Schulen in drei – in der Praxis eng miteinander verzahnten – Bereichen stattfinden:
1. Schulentwicklung, also der Prozess der Schaffung der technischen und organisatorischen Voraussetzungen für ein Lehren und Lernen in der digitalen Welt.
2. Fortbildung des pädagogischen Personals an den Schulen; hier geht es um die Verknüpfung technischer, mediendidaktischer, allgemeinpädagogischer und fachdidaktischer Kompetenzen der Lehrkräfte, wie sie im sogenannten TPACK-Modell zusammengefasst sind.
3. Unterrichtsentwicklung, also der Prozess der Integration digitaler Medien unter dem Primat der (Fach-)Didaktik und die Befähigung der Schüler*innen zum kompetenten Umgang mit (digitalen) Medien.
Das folgende Wirkmodell verdeutlicht die dafür notwendige Verschmelzung der Kernkompetenzen aus fachdidaktisch-pädagogischer und wirtschaftlich-informations-technologischer Expertise. Aufbauend auf den vorhandenen Rahmenbedingungen, den zu erwartenden Herausforderungen sowie den bestehenden Strukturen bringen beide Parteien ihre umfangreiche Expertise in das Projekt ein und führen diese mit Blick auf das Ziel „Schule in der digitalen Welt“ erfolgreich zusammen.
Welche besondere Verbesserung stellt das angestrebte Vorgehen gegenüber bisherigen Versuchen die deutschen Schulen zu digitalisieren dar? Entscheidend für den Erfolg digital unterstützter Lernprozesse ist laut aktuellem Bildungsbericht die Art und Weise der Nutzung außer- und innerhalb der Bildungseinrichtungen:
„Eine ausreichende technische Infrastruktur ist eine zentrale Voraussetzung für die Verwendung digitaler Medien, der Erfolg des Einsatzes hängt jedoch noch entscheidender von einem didaktisch sinnvollen und kritisch reflektierten Einsatz digitaler Technologien ab. In den Bildungseinrichtungen selbst werden digitale Medien bislang jedoch häufig nur in einem begrenzten Spektrum eingesetzt — etwa als Hilfsmittel zur Rezeption von Informationen und weniger zur individuellen Förderung von Lernenden oder zur Unterstützung von kooperativen Lernsettings.“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S. 19).
Diese Erkenntnis wird von einer 2018 durchgeführten Metastudie zur Wirkung digitaler Medien im naturwissenschaftlichen Unterricht gestützt (Hillmayer et al., 2018). Sie weist höhere Effekte nach, wenn analoge und digitale Medien kombiniert werden. Verschiedene Studien weisen zudem darauf hin, dass nur ein kleiner Teil in der Lehre eingesetzter digitaler Medien mit signifikanten positiven Effekten auf die Lernergebnisse verbunden ist. Entscheidender als die eingesetzte Technik scheint vielmehr zu sein, wie digitale Medien von den Lehrenden im alltäglichen Lehr-Lern-Geschehen integriert werden. Bildungsteilnehmenden digitale Kompetenzen zu vermitteln setzt ein hohes Maß an Professionalität im pädagogischen Prozess voraus, das sich durch die anhaltende Digitalisierung verändern und erweitern muss.
Das Wirkmodell zeigt, dass achdidaktisches Wissen mit technologischer Expertise verbunden werden muss, um angemessen auf diese aktuellen, wissenschaftlichen Ergebnisse zu reagieren. In einem partnerschaftlichen Austausch kann die Gestaltung effektiver Transformationspfade hin zur „Schule in der digitalen Welt“ entwickelt werden. Dabei sollte der Transformationsprozess über die Umsetzung von Leuchtturmprojekten an ausgewählten Schulen wissenschaftsbasiert evaluiert werden, um fundierte Aussagen über die Wirkung und Effektivität bestimmter Neugestaltungen schulischer Prozesse und Praktiken machen zu können. Aus den in diesen Projekten gewonnenen Erkenntnisse über relevante Wirkmechanismen und -faktoren sind sodann Leitfäden (im Sinne adaptierbarer Schablonen für digitale Schulentwicklungsprozesse) zu entwickeln, deren schrittweise Anwendung eine nachhaltige Transformation des deutschen Bildungssystems hin zu einer digitalen Kultur ermöglicht.
Interoperabilität liegt vor, wenn verschiedene unabhängige und gegensätzliche Systeme reibungslos interagieren müssen, um ein selbstständig funktionsfähiges Ergebnis zu liefern. Die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten im Bildungssektor, in denen Pädagogik und Technik direkt aufeinandertreffen und zusammengeführt werden müssen, obwohl hier zwei gegensätzliche Kompetenzen (technologisch-wirtschaftlich und pädagogisch-didaktisch) sowie zwei unterschiedliche Wirtschaftszweige (Bildungssektor & Informationstechnologie) miteinander zum Ziel kommen müssen, ist ein aktuelles und prägnantes Beispiel für Interoperabilität:
„Die Zusammenarbeit beider Gruppen ist der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung von Digitalisierungsprojekten im Bildungssektor“.
(Zitat: Dr. Stefan Ried in Digitalisierung der Schulen voranbringen, 30.06.2020, Autorin: Susanne Ehneß).
Die vorgefundene Interoperabilität ist der Anlass für die Entwicklung des vorgestellten Wirkmodells, dessen Anwendung zunächst dazu dient, Standards zu entwickeln, deren Einhaltung von allen Beteiligten als wichtig bewertet wird, die zugleich jedoch an individuelle Bedingungen angepasst werden können. Standards, die als Ergebnis der Anwendung des Wirkmodells zustande kommen, sind dabei als Schablonen (Leitfäden) für digitale Schulentwicklung zu verstehen. Dabei ist entscheidend, dass die entsprechenden Standards möglichst frei verfügbar sind, das heißt für alle Beteiligten leicht zugänglich und verständlich sowie umfassend dokumentiert sind. Darüber hinaus sind die zu entwickelnden Standards nicht als statisches Produkt aufzufassen, sondern sind unter stetiger Berücksichtigung des Wirkmodells kontinuierlich weiterzuentwickeln und an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen.
Mit Blick auf die notwendige Adaptierbarkeit der entwickelten Standards ist anzumerken, dass eine Modularisierung in Form standardisierter Bausteine angestrebt wird. Indem nach dem Prinzip eines Baukastensystems unterschiedliche Bausteine kombiniert werden können, wird die Möglichkeit eröffnet, auf Besonderheiten einzelner Schulen einzugehen und individuelle Schwerpunkte zu setzen. Die zu erwartenden Resultate sind eine breitere Beteiligung, größere Transparenz und erhöhter Konsens bezogen auf relevante Arbeitsprozesse.
Die Anwendung des vorgeschlagenen Wirkmodells dient diese Gedanken zusammenfassend der Erarbeitung von standardisierten Prozessmodulen für die Entwicklung einer digitalen Kultur an deutschen Schulen. Das Wirkmodell macht zu diesem Zweck die diversen Problemlagen und damit einhergehenden, gegenwärtig bestehenden Herausforderungen in all ihren Wechselwirkungen sichtbar und ermöglicht dadurch erstmalig eine gemeinsame und zielführende Erarbeitung von effektiven Lösungsansätzen in Form von Standards, Schablonen und Leitfäden für schulische Transformationsprozesse.
Als am Wirkmodell unmittelbar interessierte Parteien sind zunächst Bildungsorte- und -einrichtungen in Deutschland im Elementarbereich, der Primarstufe, der Sekundarstufen I und II sowie dem tertiären Bereich zu nennen. Damit verbunden sind bildungspolitische Entscheidungsträger auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen als primäre Interessenten zu verstehen. Nachgelagert besitzt das Modell Relevanz für Unternehmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), im Besonderen, wenn diese wirtschaftliche Schwerpunkte in den Bereichen Kommunikation, Schnittstellen, (Lern-) Softwarenentwicklung oder dem sogenannten Internet der Dinge aufweisen. Darüber hinaus wird das Wirkmodell für Unternehmen von Interesse sein, die als beratende Organisationen auftreten und Projektmanagementleistungen anbieten– insbesondere dann, wenn diese Dienstleistungen im und für Unternehmen und Institutionen im Bildungsbereich angeboten werden. Aufgrund der Bedeutung schulischer Bildung und der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche weist das Wirkmodell schließlich eine gesamtgesellschaftliche Dimension auf, die aufgrund der Dringlichkeit und Aktualität der Thematik nicht unerwähnt bleiben sollte.
Als realisierbare Produkte der Umsetzung des Wirkmodells sind Standards, Schablonen und Leitfäden für effektive und nachhaltige schulische Transformationsprozesse zu verstehen, deren Anwendung zur Etablierung einer digitalen Kultur, der Entstehung digitaler Schulen und letztlich zur digitalen Transformation des deutschen Bildungssystems beitragen.
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